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merlin

Wandelwecker: Energiekonzept Dietenbach nachbessern

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Zusammenfassung

Ein Expertenkreis aus Energie und Architektur schlägt Alarm: Wird die aktuelle städtische Ausschreibung nicht gestoppt, droht die Wärmeversorgung Dietenbach unnötig klimaschädlich und für die Bewohnerschaft teuer zu werden. Was jetzt zu tun ist.

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Worum geht's? Stark vereinfacht:

Der neue Stadtteil Dietenbach soll klimaneutral werden.

Für die Wärmeversorgung wurde eine Ausschreibung gestartet. (Beschluss Gemeinderat vom 27.07.21)

Ein Expertenkreis aus Energie und Architektur schlägt Alarm:

  • Hier werden Weichen falsch gestellt und durch die Ausschreibung Fakten geschaffen.

  • Das Konzept verspreche, schlechter sowohl für die Umwelt als auch für den Geldbeutel der Bewohnerschaft zu werden

Eine ähnliche Kritik wird am Energiekonzept Kleineschholz geübt.

Die Konzepte, ihre Bewertung und die geübte Kritik sind komplex. Wir haben im Folgenden die aus unserer Sicht zentralen Eckpunkte herausgearbeitet.

 

Entscheidungen entkoppeln

Bei der Kritik geht es um zwei Richtungsentscheidungen, die in erster Näherung voneinander entkoppelt werden können:

  • Soll die Wärmeversorgung zentral (mit "warmem" Nahwärmenetz) oder dezentral (mit "kaltem" Nahwärmenetz) erfolgen?

  • Soll in Dietenbach Wasserstoff erzeugt werden?

Wasserstofferzeugung in Dietenbach - sinnvoll oder nicht?

Zur Frage der Wasserstofferzeugung sagt der Expertenkreis im Kern:

  • Der grüne Strom, um grünen Wasserstoff zu erzeugen, ist auf absehbare Zeit nicht vorhanden.

  • Ohne die "CO2-Gutschrift" des grünen Wasserstoffs fällt jedoch das ganze Konzept in sich zusammen.

Energieversorgung zentral oder dezentral?

Die Kritik des Expertenkreises an einer Zentralversorgung im Kern:

  • Da Gebäude immer weniger Heizenergie verbrauchen, und Dietenbach 2031-2037 gebaut wird, ist absehbar, dass bei zentraler Wärmeversorgung mehr Energie im Nahwärmenetz "verheizt" wird als im Gebäude.

  • Bei einer Zentralversorgung müssten die Kosten per "Anschluss- und Benutzungszwang" auf die Bewohnerschaft umgelegt werden. Das torpediert den Anreiz, Energiesparend zu bauen, verhindert Bürgerenergieprojekte, und erhöht Nebenkosten und Warmmiete.

Was ist das vom Expertenkreis favorisierte "kaltes" Nahwärmenetz und wozu dient es?

  • Die in den Gebäuden genutzten Wärmepumpen funktionieren wie haushaltsübliche Kühlschränke und produzieren neben der Nutzwärme auch Kälte. Sie können aber nur Wärme produzieren, wenn die Kälte auch abgeführt wird (bzw. Wärme mit ca. 16°C nachgeliefert wird).

  • Für solch eine "Kältesenke" ist eine zentrale Grundwasser-Bohrung weitaus wirtschaftlicher, als wenn für jedes Gebäude einzeln gebohrt wird. Die Wärme / Kälte wird dann im "kalten" Nahwärmenetz verteilt.

  • Da die Nutzung des kalten Nahwärmenetzes für faktisch alle Gebäude wirtschaftlich vorteilhaft ist, ist ein Anschluss- und Benutzungszwang nicht erforderlich.

  • Durch die Temperatur von ca. 16°C fallen keine Leitungsverluste und keine Kosten für Isolation an.

  • Im Sommer wird das Nahwärmenetz zur Gebäudekühlung verwendet - ein im Zuge von Klima-Anpassung zunehmend wichtigeres Thema. Dabei wird die Kälteabfuhr der Warmwasserbereitungs-Wärmepumpen zusätzlich genutzt. Die Kühlung erfolgt damit kostenlos.

Die weiteren Details werden vom Expertenkreis Energie und Architektur auf www.klimaneutrales-freiburg.de dargestellt. Dort sind auch die Stellungnahmen der Stadtverwaltung verlinkt.

Hintergrund und Kommentar

Einmal mehr zeigt sich, dass das Kapital der Ökostadt Freiburg in ihrem Netzwerk liegt: Die geballte Expertise nachhaltigkeits-engagierter Menschen und Initiativen. Was der Expertenkreis Energie und Architektur hier - ohne Auftrag oder Bezahlung - vorgelegt hat, kann sich inhaltlich sehen lassen, und ist eine solide Grundlage für die weitere Suche nach der besten Lösung.

Die Forderung, bei der beschlossenen Ausschreibung die Reißleine zu ziehen, wurde nicht leichtfertig erhoben, sondern wurde inhaltlich gut begründet. Dass seit 11. November 2021 der der Planung zugrundeliegende KfW55-Standard ein Auslaufmodell ist (sprich: ab 1.2.2022 nicht mehr gefördert wird), sollte allen Beteiligten erleichtern, die Konzeptentscheidung neu zu bewerten.

Eine Frage, die uns alle dabei begleiten wird, ist die nach dem besten Weg zur Klimaneutralität. Pointiert: Wenn wir vorwiegend über Ausstiegszeitpunkte (aktuell: 2037) statt über Restbudgets reden, laufen wir Gefahr, dass bis zur Klimaneutralität um so mehr CO2 "rausgeballert" wird. So setzt das aktuelle Dietenbach Konzept als Ziel "klimaneutral im Betrieb", blendet aber den Weg dahin aus: So wird z.B. die "graue Energie" beim Bauen (die häufig den Energiebedarf des Betriebs übersteigt) bislang noch ignoriert. Hier muss nachgebessert werden.

Und noch eine Grundsatzfrage schillert durch: Wer verdient an der Energiewende? Bürger oder Energieversorger? In Freiburg würde der Energieversorger trotz europaweiter Ausschreibung auf die Badenova AG hinauslaufen, die mit ihren Gewinnen u.a. die Straßenbahnen subventioniert. Doch guter Nahverkehr darf nicht mit zu teurer oder unökologischer Nahwärme erkauft werden. Dieser Aspekt sollte offen diskutiert werden.

Doch zurück zum Ausgangspunkt. Eine Frage dazu an Martin Horn: Sie sind mit den Inhalten Transparenz und Beteiligung angetreten. Welche Lektionen für die Zukunft ziehen Sie aus dem bisherigen Klärungsprozess zum Energiekonzept Dietenbach?

Eine dieser Lektionen könnte sicherlich die geforderte Einrichtung eines Klimarats sein, die Gemeinderat und Stadtverwaltung mit ihrer Expertise unterstützen.

Was ist jetzt zu tun?

(Stand: 18.11.2021) Im kürzlichen Umweltausschuss haben mehrere Gemeinderatsmitglieder verstanden, dass es noch Klärungsbedarf gibt. Es macht aber sicherlich Sinn, mit einzelnen Gemeinderatsmitgliedern Kontakt aufzunehmen, um ihnen den Rückhalt zu geben, dass das Thema für die Menschen wichtig ist.

 

Die nächsten Veranstaltungen und Termine zu diesem Thema:

 

 

 

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Bild:  SarahRichterArt auf pixabay

Zuletzt geändert
06.12.23, 23:57